Geschichten der Streetfotografie
Was sollen die Geschichten in meinem Kopf, ich möchte, dass meine Geschichten jeder lesen und sehen kann. Deshalb hier ein kleiner Einblick aus meinem Kopf.
Stefan Kreienbrock
Story number 001
Hier eine kleine Geschichte zu meinem Foto. Diesen jungen Mann, nennen wir ihn einfach „singender Vagabund“, traf ich in Süd- Frankreich in Gruissan in einer kleinen Gasse.
Wie immer in unserem Urlaub versuche ich in den Straßen von Süd- Frankeich
einige berührenden, erzählende Geschichten und Momente festzuhalten. Am dritten
Tag sah ich diesen Mann auf seinem Akkordeon spielen. Er spielte lustig vor sich hin
und tanzte seinen Tanz. Natürlich immer mit seinem Zigarettenstumpen im Mund.
Sein Begleiter lag allerdings lustlos daneben und wollte bei dreiunddreißig Grad
sich nicht so bewegen wie sein Herrchen. Die Menschen, die ihn tanzen sahen, gingen
nicht einfach nur vorbei, sondern blieben eine Zeitlang stehen und hörten ihm zu.
Am Schluss der Vorstellung bedankte er sich und wünschte den Menschen noch
einen schönen Tag. In diesem Moment hat er mich neugierig gemacht, denn er sagte
es nicht nur auf Französisch und Englisch, sondern auch auf Deutsch. Als er seine kleine
Spende vom Teller nahm, ging ich zu ihm hin und sagte: „Hey, mein Freund, woher
kommst Du und was hat dich hier nach Gruissan verschlagen?“ Er antwortete halb
auf Französisch, halb auf Deutsch und sagte zu mir: „Ich muss mich entschuldigen, ich
spreche schon lange kein Deutsch mehr und habe es etwas verlernt“.
Sein Name war Martin, er kam mit Sack und Pack auf seinem Fahrrad mit dem
Hunde- Anhänger aus Trier. Seine Geschichte hat mich berührt und angezogen, so
dass ich mir die Zeit nahm und ihm bei einem Becher Kaffee zuhörte.
Alles begann in seiner Schlosserlehre, er musste um fünf Uhr in der Früh aufstehen.
In den ersten drei Wochen hat ihm sein Chef immer wieder sagen müssen, dass er
pünktlich sein sollte, sonst würde er ihn nicht haben wollen. Da er es auch in den
nächsten Tagen nicht geschafft hatte, morgens pünktlich aus dem Bett zu
kommen, sprach er seinen Chef selbst an und sagte:“ Hallo Meister, ich schaffe
es nicht, so früh aufzustehen, deshalb ist das hier und heute mein letzter Tag
und ab Morgen komme ich nicht mehr zur Arbeit“ Sein Chef sagte: „Ok und wünschte
ihm noch alles Gute für seine Zukunft“. Nach zwei Wochen stellte er sich die
Frage: „Was bringt die Zukunft und was möchte ich erreichen?“ Kurz eine
Nacht drüber geschlafen und am nächsten Tag wurde sein Rad mit Hunde- Anhänger
für die Reise umgebaut. Für die ersten Tage wurden Lebensmittel, Schlafsack
mit Zelt und Akkordeon eingepackt. Seine Reise in die Zukunft konnte beginnen.
Ich fragte ihn, ob er jetzt früh aufsteht, aber er sagte:“ Nein, jetzt würde er noch
länger schlafen“. Seine Reise führte ihn über Straßburg Richtung Mülhausen.
Er wollte eigentlich weiterfahren und sich im Schwarzwald niederlassen, aber
mit dem Hunde- Anhänger waren die kleinen Berge zu schwer zu überqueren.
Deshalb suchte er in Frankreich das flache Land und fuhr Richtung Lyon.
Als ich ihn fragte, ob er denn alles in einem durchgefahren wäre, antwortete er:“ mit
einigen Pausen, ich hatte ja keine Eile mehr“. Ihm wurde irgendwann die Stadt
einfach zu laut und er fuhr weiter Richtung Süden. Zum Schluss bin ich halt in
Gruissan gelandet, hier habe ich beides. Wenn ich Ruhe brauche, dann bleibe ich
in Gruissan, wenn ich die Stadt haben muss, um etwas Geld zu schnorren, dann
fahre ich weiter zur Stadt Narbonne. Mein Schlafplatz ist fast immer am Strand oder
am Kanal, da wo mich keiner stört. Ich hätte Martin noch stundenlang zuhören können, er
hatte viele Geschichten zu erzählen. Zum Schluss fragte ich ihn, was hat Dir die Reise
gebracht und wie sieht Deine Zukunft aus?
Seine Antwort:
Frei sein mein Freund, das ist es was ich wollte. Ich habe nicht viel, nur meinen Hund
und mein Akkordeon. Hungern musste ich nie und Geld habe ich nur das, was ich bekomme.
Was mir die Zukunft bringt, kann ich nicht sagen. Aber ein Zurück gibt es für mich und
meinem Hund nicht.
Benjamin Franklin sagte einmal:
Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.
Im Normalfall würden die 1136km von Trier nach Frankreich weit über 60Std. dauern, wenn
man in einem Stück durchfahren würde. Martin brauchte fast 1 Jahr, bis er in Frankreich angekommen war. Seit vier Jahren ist er nun schon hier und hat jetzt endgültig seine
Heimat gefunden.